abgeschlossen
Inklusionsbetriebe bieten Qualifizierungsmöglichkeiten und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse für Menschen mit Behinderungen, deren berufliche Teilhabe besonders erschwert ist. Dabei gilt auch in Inklusionsbetrieben die Prämisse des Arbeitsschutzes, die Sicherheit und Gesundheit aller Beschäftigten zu gewährleisten. Übergeordnetes Ziel des DGUV geförderten Projekts "GAIN – Gesund arbeiten in Inklusionsbetrieben" war die Generierung von Informationen zur Entwicklung und Implementierung gesundheitserhaltender Maßnahmen im Rahmen des Arbeitsschutzes für Beschäftigte mit und ohne Beeinträchtigungen in Inklusionsbetrieben. Das IFA-Teilprojekt zielte auf die Gefährdungsbeurteilung der physischen Belastung sowie die Ableitung und Evaluation von Präventionsmaßnahmen zur Reduktion der Muskel-Skelett-Belastung an Arbeitsplätzen aus unterschiedlichen Branchen. Die Erkenntnisse sollen dazu dienen, konkrete Hinweise zur Arbeitsgestaltung für Inklusionsbetriebe sowie für Regelbetriebe, die ihren Anteil an Beschäftigten mit Beeinträchtigungen erhöhen wollen, abzuleiten.
Es wurde eine explorative Studie zur Ermittlung physischer und psychischer Belastungsfaktoren bzw. gesundheitlicher Beeinträchtigungen von insgesamt 127 Beschäftigten mit und ohne Behinderung in Inklusionsbetrieben des Behindertenwerks Main-Kinzig durchgeführt. Das IFA war federführend beteiligt an der Ermittlung und Beurteilung der Muskel-Skelett-Belastung in zwei Inklusionsbetrieben (Wäscherei, Scandienstleister) sowie einem Regelbetrieb (Batteriefabrik) als Referenz. An 44 Personen mit und ohne Behinderung (Wäscherei: n = 14, Scandienstleister: n = 9, Batteriefabrik: n = 21) wurden Expositionsanalysen mit dem CUELA-System durchgeführt. Mithilfe von am Körper getragenen Sensoren ermöglicht das CUELA-Verfahren eine detaillierte Analyse von Belastungen für die Körperregionen Nacken, Rücken, Schultern, Ellenbogen, Hände, Hüfte und Knie. Als relevante biomechanische Belastungsparameter werden bspw. ungünstige Gelenkwinkel, statische Haltungen, repetitive Bewegungen, Gelenkmomente oder Bandscheibenkompressionskräfte hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Gefährdung bewertet. Die CUELA-Analyse diente zum einen der Analyse des Ist-Zustands, aus der Interventionsbedarfe ermittelt und spezifische Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden. Zum anderen wurde sie zur Evaluierung der umgesetzten Maßnahmen eingesetzt. Basierend auf den Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen erarbeitet.
Die CUELA-Analyse identifizierte bei den Tätigkeiten in der Wäscherei erhöhte Belastungen durch repetitive Bewegungen der oberen Extremitäten, ungünstige Kopfhaltungen sowie Arbeiten mit angehobenen Armen. Die Tätigkeiten im Scanbetrieb waren insbesondere gekennzeichnet durch Bewegungsmangel, nicht-neutrale Haltungen der Unterarme (nach innen rotiert) sowie gekrümmte Haltungen von Rücken und Nacken. Auffällig waren die durchweg niedrigen Beugungswinkel der Hüft- und Kniegelenke. Dies lässt auf eine suboptimale Anpassung des Sitzmobiliars schließen, die wiederum Ursache für die ungünstigen Rücken- und Nackenhaltungen zu sein scheint. In beiden Inklusionsbetrieben fanden sich keine Expositionsunterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Auch die subjektiv empfundenen Muskel-Skelett-Beschwerden unterschieden sich zwischen beiden Gruppen nicht. Darüber hinaus ergab die CUELA-Analyse keine auffälligen Unterschiede in der Ausprägung der Expositionen in der inklusiven Wäscherei im Vergleich zu denen in der Batteriefabrik (nicht-inklusiver Referenzbetrieb). Die Tätigkeiten in beiden Betrieben sind durch einen hohen Anteil repetitiver manueller Arbeitsprozesse im Stehen gekennzeichnet. Die Beschäftigten in beiden Betrieben berichteten vergleichbare muskuloskelettale Beschwerden.
Basierend auf den Expositionsdaten sowie auf Interviews mit den Beschäftigten und Betriebsverantwortlichen wurden potenzielle Interventionsmaßnahmen identifiziert. Im Rahmen des Projektzeitplans und des zur Verfügung stehenden Budgets konnten zwei dieser Maßnahmen getestet und quantitativ evaluiert werden. Um ungünstige Kopfhaltungen zu reduzieren, wurden im Legebereich der Wäscherei zwei elektrisch höhenverstellbare Tische eingeführt. Diese erlauben eine ergonomische Anpassung der Arbeitshöhe an die Anthropometrie der Beschäftigten. Zudem wurde den Beschäftigten eine auf die spezifische Belastung an ihrer Arbeitsstation zugeschnittene "Bewegte Pause" (Kraft- und Beweglichkeitstraining) angeboten, deren Wirksamkeit anhand von Funktionsdiagnostik und Beschwerdeangaben nachgewiesen werden konnte. Für die Tisch-Intervention konnte ein messtechnischer Vorher-Nachher-Vergleich vorgenommen werden. Die CUELA-Analyse der Beschäftigten an dieser Arbeitsstation (n = 4) zeigte jedoch keine Veränderung der Körperhaltungen durch die höhenverstellbaren Tische. Bis auf eine Person hatten die Beschäftigten die Höhenverstellung auch nach wiederholter Anleitung nicht oder nicht optimal genutzt. Die Projektergebnisse zeigen, dass eine effektive Prävention muskuloskelettaler Belastungen in Inklusionsbetrieben nicht allein durch technische oder ergonomische Maßnahmen gewährleistet werden kann, sondern maßgeblich von einer barrierearmen Kommunikation und der aktiven Einbindung von Beschäftigten mit Verständigungsschwierigkeiten abhängt. Die im Arbeitsschutz bereits in Regelbetrieben bestehenden Herausforderungen treten in inklusiven Arbeitskontexten noch deutlicher zutage und machen deutlich, dass Teilhabe nur durch gezielte, inklusionssensible Kommunikations- und Beteiligungsstrategien realisierbar ist.
-branchenübergreifend-
Gefährdungsart(en):Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, Gestaltung von Arbeit und Technik
Schlagworte:Ergonomie, Gefährdungsbeurteilung, Besondere Personengruppen
Weitere Schlagworte zum Projekt:Inklusionsbetriebe, Menschen mit Behinderung, Gefährdungsbeurteilung, CUELA, Bewertungsverfahren, Intervention, Muskel-Skelett-Belastungen